Ist das Unkraut oder kann das Weg?

Ist das Unkraut oder kann das weg?

Während der Pandemie schossen die Anfragen für Parzellen in Kleingartenanlagen in die Höhe. Stadtmenschen suchten einen Platz im Grünen, suchten nach Privatspähre im Draußensein und vielleicht auch nach einer sinnhaften Tätigkeit. Es gab lang nicht so viele Parzellen wie Anfragen. Denen, die leer ausgingen, möchte ich sagen: Macht doch nix.

Denn: In einer Kleingartenanlage ist alles streng reguliert. Wehe dem, der sich dort ein Blumenparadies errichten will. Ein angemessener Teil muss mit Nutzpflanzen wie Obst oder Gemüse bepflanzt werden. Wann wie oft womit gedüngt werden soll, ist auch festgelegt. 

Wer schon einmal an so einem Kleingarten vorbeigelaufen ist, weiß, wovon ich spreche. Alles hat seinen ordentlichen Platz, ist ordentlich gepflegt und ist mit ordentlichen Pflanzen bepflanzt. Böse Zungen mögen sogar behaupten, das sei ein Vorzeigeprojekt deutscher Gründlichkeit.

Die Arbeit in so einem Garten ist eine gegen die Zeit. Denn: Mit jeder Sekunde, jeder Minute, die vergeht, droht der wohlgepflegten Ordnung der Garaus. Da schiebt sich ein Hälmchen Rotklee durch den Rasen. Dort reckt sich der Giersch schon der Sonne entgegen. Schnell, schnell, das muss raus! Doch wie wir alle wissen: Das ist eine echte Sisiphos-Arbeit. Man ist nie fertig, denn das Unkraut, das böse, das kommt immer wieder. 

Doch was ist denn überhaupt Unkraut? 

Rein sprachlich ist es ja so: Es gibt das Kraut, also das Gewächs, und das Un-Kraut, ein Un-Gewächs. Auf der einen Seite die Pflanzen, die einen Nutzen haben, uns mit Nahrung oder Kleidung versorgen etwa. Die, die unverzichtbar sind. Und auf der anderen Seite die Pflanzen, die überhaupt keinen Nutzen haben. 

Aber gibt es die überhaupt, die Pflanzen, die keinen Nutzen haben?Wenn man genauer hinschaut: Eigentlich nicht.

Eine Forsythie etwa, die ökologisch keinerlei Mehrwert bringt und ein Neophyt ist, ist doch sehr beliebt wegen ihrer prächtigen gelben Blüten. Sie hat also einen ästhetischen Nutzen.
Brennesseln haben keinen ästhetischen Nutzen, dafür einen medizinischen und ökologischen. 
Selbst bereits tote Pflanzen, wie abgestorbene Bäume und Gestrüpp, sind nützlich.

Bevor man also die Sense, die Heckenschere oder den Spaten ansetzt, sollte man sich fragen: Ist das wirklich Unkraut? Oder passt es gerade einfach nicht zur Satzung des Kleingartenvereins?

Ich finde den Vergleich von Kirche mit einem solchen Garten eigentlich ganz einleuchtend (liegt vielleicht aber auch an meinen Berufen).

Es gibt eine Begrenzung im Garten, er unterscheidet sich durch die menschliche Pflege und Gestaltung von der Wildnis. Und auch wir als Kirche haben eine Begrenzung, in den biblischen Schriften und den Bekenntnisschriften unserer jeweiligen Konfession. Es gibt Gesetze und Regeln, die es einzuhalten gilt, damit der Garten für alle ein gutes Ökosystem bleibt. Und daran ist erst einmal gar nichts schlecht oder falsch. Verbindlichkeit und Struktur geben Halt und Orientierung. Wildwuchs wird unterbunden und so wird auch gewährleistet, dass Menschen etwas erwarten können von diesem Garten, von dieser Kirche. 

Diese Regeln einzuhalten ist mitunter unbequem und sperrig, sie immer wieder neu zu verhandeln und den neuesten Erkenntnissen anzupassen, ist essenziell. 

Die neuesten Erkenntnisse, das können viele sein.

In einem Garten sind es neue ökologische und biologische Informationen, etwa über Insektenfreundlichkeit, Vermehrung, Schädlinge, Pflege und dergleichen. 

In der Kirche geht es dann um Strukturen in der Verwaltung, Größe von Kirchengemeinden und eben auch den digitalen Raum, der sich vor vielen doch noch als unbekannte Welt erstreckt.

Das heißt aber auch: Neugestaltung innerhalb des Gartens, nicht die Veränderung seiner Grenzen. Neugestaltung kann auch sehr unterschiedlich vorgestellt werden. 

Der Horror eines jeden halbwegs klimafreundlich eingestellten Menschen sind Schottergärten. Der Begriff „Garten“ ist da schon sehr gedehnt, aber nun gut. Schottergärten versprechen einfache Pflege und ein cleanes Bild. 

Auch in der Kirche gibt es solche Neugestaltungs-Pläne, die sich schick geben und doch mehr kaputt machen, als sie neu beginnen. Die auf die angebliche Einfachheit hereinfallen und die das Unkraut zwischen den Steinen dann in die Verzweiflung treibt.

Neugestaltung kann auch heißen, einen Garten von einer wohlgeordneten Anlage in ein wenig mehr geordnete Unordnung zu überführen. 

Ich sehe das viel bei Kirchens. Es gibt mehr Raum für Experimente, manchmal noch zurückhaltend, aber immerhin. Gerade der digitale Raum ist dafür ja auch bestens geeignet, auch als eigener Raum, nicht nur als Anhängsel von etwas Analogem. 

Geordnete Unordnung, Experimente, mehr Wildheit, aber immer noch innerhalb der Garten-Grenzen. 

Zuletzt will ich noch etwas zu wirklichem Unkraut loswerden. Sehr gut beschrieben hat es das Gleichnis des Unkrauts aus dem Matthäusevangelium. 

Da sieht man ganz gut, warum eine bestimmte Pflanze tatsächlich als Unkraut bezeichnet wird und warum es wichtig ist, dass man sie los wird.

Auch wenn das beste, gut sortierteste Saatgut gesät wird, kann es auf dem Acker Unkraut geben. Und damit das Getreide überhaupt noch zu gebrauchen ist, muss man das Unkraut wieder loswerden. Es geht also darum, dass eine Lebensgrundlage für den Menschen noch eine solche ist und sie nicht auf dem Kompost landet. Die Unkrautpflanze hat mit Sicherheit auch einen gewissen ökologischen Nutzen. Doch der Nutzen des Getreides ist – in diesem Fall – wichtiger. 

Unkraut ist also nicht, was keinerlei Nutzen hat, sondern was anderen Pflanzen ihre Nützlichkeit entzieht.

Und darum muss man Unkraut in bestimmten Fällen, wie im Gleichnis der Lolch im Weizen, drastisch entsorgen. Man muss ihm zu Leibe rücken mit allem, was der Geräteschuppen hergibt. 

Da muss ich dem Bauer aus dem Gleichnis auch widersprechen: Er weist seine Knechte an, das Unkraut erst nach der Ernte auszusortieren. Aus gärtnerischer Sicht vermutlich ein Fehler: Denn Unkraut, das blüht und Samen verteilt, das wird man so schnell nicht mehr los. 

Was in diesen Tagen Unkraut ist, dem man dringend den Kampf ansagen muss, ist seit den Recherchen zur „Geheim-Konferenz“ rechtsextremer Politiker*innen und Akteuren hoffentlich allen klar. 

Doch auch im Garten Kirche sitzen die Wurzeln aus Rassismus und Ableismus und White Supremacy tief. Und das geht nicht von selber weg, genauso  wenig wie der Lolch im Gleichnis vom Unkraut im Weizen von selber verschwindet. 

Jäten wir also an den richtigen Stellen und lassen wir der geordneten Unordnung ihren Platz. Unterscheiden wir sorgsam, seien wir sorgfältig in der Pflege und visionär in der Gestaltung. 

Damit unser Garten Kirche wirkliche ein Ort ist, an dem das Jesus-Wort gilt: „Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid – ich will euch erquicken.“

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